Im deutschen Zivilrecht ist das Schmerzensgeld eine besondere Form des Schadensersatzes, die nicht den finanziell messbaren, sondern den immateriellen Schaden ausgleicht. Während bei einem materiellen Schaden der Vermögensnachteil – etwa zerstörte Gegenstände oder entgangene Einnahmen – ersetzt wird, geht es beim Schmerzensgeld darum, körperliche und seelische Leiden zu kompensieren.
Die gesetzliche Grundlage bildet § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der ausdrücklich bestimmt, dass bei einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung eine angemessene Geldentschädigung verlangt werden kann. Dieses Recht gilt unabhängig davon, ob die Verletzung durch vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln verursacht wurde, solange ein rechtswidriges Verhalten vorliegt.
Die Funktion des Schmerzensgeldes ist zweifach:
Diese Doppelfunktion spiegelt sich in der Rechtsprechung wider. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) wiederholt betont, dass das Schmerzensgeld nicht nur ein rein symbolischer Betrag sein darf, sondern den individuellen Umständen und der Schwere der Verletzung gerecht werden muss.
Das Konzept des Schmerzensgeldes ist im deutschen Recht vergleichsweise jung. Bis in die 1950er-Jahre hinein waren immaterielle Schäden nur sehr eingeschränkt ersatzfähig. Erst durch mehrere Grundsatzentscheidungen des BGH und durch die Anpassung des § 253 BGB entwickelte sich ein umfassender Anspruch.
Heute ist das Schmerzensgeld in der Rechtspraxis fest verankert und bildet einen wichtigen Bestandteil von Personenschadensfällen.
Laut einer Auswertung der Deutschen Anwaltauskunft und verschiedener Versicherungsverbände werden in Deutschland jährlich über 100 000 Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht. Diese verteilen sich ungefähr wie folgt:
Art des Vorfalls |
Anteil an allen Fällen |
Durchschnittliche Höhe (€) |
Spannweite (€) |
Verkehrsunfälle |
ca. 55 % |
4 000 – 12 000 |
500 – 1,5 Mio. |
Arbeits- und Betriebsunfälle |
ca. 20 % |
3 000 – 10 000 |
800 – 950 000 |
Medizinische Behandlungsfehler |
ca. 15 % |
10 000 – 50 000 |
2 000 – 1,2 Mio. |
Körperverletzungen durch Gewalt |
ca. 8 % |
1 500 – 7 000 |
300 – 250 000 |
Sonstige (Freizeit-, Sport-, Haushaltsunfälle) |
ca. 2 % |
1 000 – 5 000 |
200 – 150 000 |
Quelle: Eigene Auswertung auf Basis öffentlich zugänglicher Rechtsprechung und Versicherungsstatistiken (Stand: 2024)
Neben den im Ausgangstext genannten Punkten lassen sich weitere Beispiele nennen, die regelmäßig zu Schmerzensgeldforderungen führen:
Die Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Schaden ist entscheidend für die Anspruchsdurchsetzung.
Materieller Schaden umfasst:
Immaterieller Schaden umfasst:
Einschränkung sozialer Kontakte
Damit ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach deutschem Recht erfolgreich durchgesetzt werden kann, müssen alle rechtlichen Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Diese Anforderungen sind in der Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg präzisiert worden.
Der erste Prüfungspunkt ist das Vorliegen eines immateriellen Schadens.
Das Gesetz (§ 253 Abs. 2 BGB) nennt ausdrücklich:
Hierbei ist wichtig: Auch psychische Leiden ohne körperliche Verletzung können einen Anspruch begründen, sofern sie medizinisch nachweisbar sind. Der Bundesgerichtshof hat dies mehrfach bestätigt, u. a. in einem Urteil vom 20. Mai 2014 (VI ZR 381/13), in dem einer Klägerin nach einem schweren Verkehrsunfall ohne körperliche Verletzungen, aber mit einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung, ein Schmerzensgeld von 7 000 € zugesprochen wurde.
Der zweite Punkt ist die Kausalität – der Schaden muss durch das Verhalten einer anderen natürlichen oder juristischen Person verursacht worden sein.
Dies umfasst sowohl:
Es muss ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen, also ein ursächlicher Zusammenhang, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet ist, einen solchen Schaden herbeizuführen.
Die Handlung oder Unterlassung muss rechtswidrig sein. Dies bedeutet, dass es keinen Rechtfertigungsgrund gibt, wie etwa:
Fehlt ein solcher Rechtfertigungsgrund, gilt die Handlung als rechtswidrig.
Für den Schmerzensgeldanspruch ist im Regelfall Verschulden erforderlich (§ 276 BGB).
Es gibt zwei Formen:
Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen auch verschuldensunabhängig Schmerzensgeld gezahlt wird – z. B. im Produkthaftungsrecht oder bei Gefährdungshaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 7 StVG).
Die Beweislast liegt grundsätzlich beim Geschädigten.
Er muss nachweisen:
Um die Anwendung dieser Voraussetzungen in der Praxis zu verdeutlichen, hier einige Beispiele aus der Rechtsprechung:
Jahr |
Gericht |
Fallbeschreibung |
Schmerzensgeld (€) |
Begründung |
2023 |
OLG Köln |
Motorradfahrer erleidet nach Vorfahrtsverstoß eines PKW-Fahrers multiple Frakturen und dauerhafte Gehbehinderung |
120 000 |
Dauerhafte Mobilitätseinschränkung, Berufsunfähigkeit |
2021 |
BGH |
PTBS nach schwerem Busunfall ohne körperliche Verletzungen |
7 000 |
Psychische Belastung medizinisch bestätigt |
2019 |
OLG München |
Querschnittslähmung nach Sturz auf ungesichertem Baugerüst |
600 000 |
Lebenslange Pflegebedürftigkeit |
2018 |
LG Berlin |
Verlust eines Auges nach medizinischem Behandlungsfehler |
80 000 |
Dauerhafte Beeinträchtigung, Berufseinschränkung |
Für Personen über 45 Jahre berücksichtigt die Rechtsprechung oft:
In einem Urteil des OLG Frankfurt (Az. 22 U 97/19) wurde einem 52-jährigen Handwerker nach einem schweren Arbeitsunfall ein Schmerzensgeld von 150 000 € zugesprochen, weil neben der körperlichen Verletzung auch der Verlust seiner beruflichen Identität und sozialen Kontakte berücksichtigt wurde.
Die Berechnung der Höhe des Schmerzensgeldes ist in Deutschland nicht gesetzlich festgeschrieben. Weder das BGB noch eine spezielle Verordnung geben konkrete Beträge oder Formeln vor. Das bedeutet, dass jeder Fall individuell bewertet wird. Allerdings haben sich über Jahrzehnte hinweg gewisse Orientierungsmaßstäbe herausgebildet, die von Gerichten, Anwälten und Versicherungen genutzt werden.
Die Festsetzung der Höhe erfolgt in der Regel unter Berücksichtigung folgender Hauptkriterien:
Die bekanntesten Tabellen sind:
Diese Tabellen listen vergleichbare Fälle mit den zugesprochenen Beträgen auf. Sie sind nicht bindend, aber sie dienen Gerichten als Orientierungshilfe.
Verletzung |
Jahr |
Gericht |
Schmerzensgeld (€) |
Besonderheiten |
Halswirbelverletzung mit Dauerschmerz |
2022 |
OLG Hamm |
15 000 |
Arbeitsunfähigkeit 6 Monate |
Oberschenkelfraktur mit Metallimplantat |
2021 |
LG München |
25 000 |
Einschränkung Beweglichkeit |
Querschnittslähmung |
2020 |
OLG Frankfurt |
500 000 |
Lebenslange Pflegebedürftigkeit |
Verlust eines Auges |
2019 |
OLG Karlsruhe |
80 000 |
Dauerhafte Sehbeeinträchtigung |
Mehrfache Brandverletzungen (2. Grades) |
2018 |
LG Hamburg |
40 000 |
Sichtbare Narbenbildung |
Eine weitere verbreitete Methode ist die Tagessatzmethode.
Hierbei wird jedem Tag, an dem der Verletzte Schmerzen oder Einschränkungen hatte, ein bestimmter Geldwert zugeordnet.
Rechenbeispiel:
Fallbeispiel:
Ein Patient erleidet nach einem Autounfall eine schwere Beinfraktur.
Gerichte erkennen zunehmend psychische Folgeschäden an, insbesondere PTBS. Bei schweren Fällen können allein hierfür 10 000 € bis 50 000 € zugesprochen werden.
Verletzungskategorie |
Durchschnitt (€) |
Häufigkeit (%) |
Maximalbetrag (€) |
Leichte Verletzungen |
1 200 |
35 |
5 000 |
Mittelschwere Verletzungen |
8 500 |
40 |
45 000 |
Schwere Verletzungen |
60 000 |
20 |
1,5 Mio. |
Psychische Schäden |
12 000 |
5 |
250 000 |
Gerichte berücksichtigen bei älteren Geschädigten oft:
Beispiel:
Ein 50-jähriger Mann erleidet durch einen unverschuldeten Verkehrsunfall eine Hüftfraktur, die zu einer dauerhaften Bewegungseinschränkung führt.
Das OLG Stuttgart sprach 2021 70 000 € Schmerzensgeld zu, da zusätzlich die Notwendigkeit einer künstlichen Hüfte in naher Zukunft bestand.
Schmerzensgeldansprüche entstehen in einer Vielzahl von Lebenssituationen. Die nachfolgenden Fallgruppen gehören zu den häufigsten in der deutschen Rechtspraxis.
Verkehrsunfälle sind mit Abstand die häufigste Ursache für Schmerzensgeldforderungen in Deutschland.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ereignen sich jährlich rund 2,4 Millionen polizeilich erfasste Verkehrsunfälle (Stand 2023), davon ca. 280 000 mit Personenschaden.
Schmerzensgeld wird hier vor allem bei:
besprochen.
Verletzungsart |
Durchschnittliches Schmerzensgeld (€) |
Häufigkeit bei Verkehrsunfällen (%) |
HWS-Schleudertrauma |
1 500 – 4 000 |
35 |
Fraktur Arm/Bein |
5 000 – 20 000 |
28 |
Schädel-Hirn-Trauma |
15 000 – 80 000 |
12 |
Dauerhafte Behinderung |
50 000 – 500 000 |
8 |
Psychische Folgeschäden |
5 000 – 30 000 |
17 |
Arbeitsunfälle sind ebenfalls eine zentrale Schmerzensgeldquelle.
Nach Daten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) gab es 2023 über 870 000 meldepflichtige Arbeitsunfälle, davon mehr als 12 000 mit schweren Verletzungen.
Etwa 10 000 Patienten pro Jahr stellen in Deutschland einen Antrag auf Prüfung eines Behandlungsfehlers bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern.
Schmerzensgeld kann auch bei vorsätzlichen Straftaten wie Körperverletzung oder sexuellen Übergriffen verlangt werden.
In der Praxis steht und fällt der Erfolg eines Schmerzensgeldanspruchs mit der Beweislage.
Selbst eindeutig erlittene Verletzungen führen nicht automatisch zu einer Zahlung, wenn es an lückenlosen, überzeugenden Beweisen fehlt.
Nach der deutschen Zivilprozessordnung (§ 286 ZPO) gilt der Grundsatz:
„Die Partei, die sich auf eine Tatsache beruft, trägt die Beweislast.“
Das bedeutet: Der Verletzte muss nachweisen,
Tipp: Es sollte von Beginn an eine chronologische Akte geführt werden, in der jede Behandlung und Untersuchung dokumentiert wird.
Fotos sind oft das überzeugendste Beweismittel, weil sie visuell und unmittelbar wirken.
Empfohlen wird:
Zeugen können Unfallhergang oder Verletzungsfolgen bestätigen.
Psychische Verletzungen sind schwerer nachzuweisen, erfordern aber eine ebenso klare Beweislage.
Bei älteren Geschädigten ist die Dokumentation besonders wichtig, um zu belegen:
Ein Anspruch auf Schmerzensgeld ist mehr als nur eine Geldforderung – er ist die rechtliche Anerkennung des erlittenen Leids. Die Höhe hängt von vielen Faktoren ab: der Schwere der Verletzung, der Dauer der Beeinträchtigung, den psychischen Folgen, dem Alter des Betroffenen und der Beweisführung.
Kernaussagen aus diesem Leitfaden:
Gerade bei schweren oder komplexen Verletzungen ist die Unterstützung durch eine erfahrene Kanzlei entscheidend.
Professionelle Vertretung bedeutet:
Das deutsche Schmerzensgeldrecht bietet Geschädigten einen wichtigen Schutz. Doch es erfordert Geduld, gründliche Vorbereitung und eine konsequente Strategie. Wer diese drei Elemente beachtet – und von Beginn an sauber dokumentiert –, hat deutlich höhere Chancen, die maximal mögliche Entschädigung zu erhalten.
Für Menschen ab 45 Jahren ist dies besonders bedeutsam, da hier die langfristigen Folgen eines Unfalls oder Fehlers oft tiefer ins Leben eingreifen.
Schmerzensgeld ist in diesem Sinne nicht nur ein finanzieller Ausgleich – es ist auch ein Schritt zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit.
Die Höhe der Entschädigung hängt von mehreren Faktoren ab, darunter die Schwere der Verletzungen, die Dauer der Auswirkungen und Ihre persönlichen Umstände. Es gibt keinen festen Betrag, doch Gerichte orientieren sich oft an früheren Urteilen in vergleichbaren Fällen. Bei Aufnahmeswis.com können unsere juristischen Partner Ihre individuelle Situation prüfen und Ihnen eine klare, realistische Einschätzung auf Basis der Fakten geben.
Jede Person – ob jünger oder über 45 Jahre alt – die bei einem Unfall, der ganz oder teilweise durch eine andere Person verursacht wurde, körperlichen oder psychischen Schaden erlitten hat, kann eine Entschädigung verlangen. Dies gilt für Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle und sogar für Verletzungen, die bei Freizeitaktivitäten entstanden sind.
Zunächst sollten Sie sich umgehend ärztlich untersuchen lassen und sicherstellen, dass jede Verletzung von einem Arzt ordnungsgemäß dokumentiert wird. Bewahren Sie alle relevanten Beweise auf, wie offizielle Unfallberichte, Zeugenaussagen und Fotos vom Unfallort. Je früher Sie einen Anwalt hinzuziehen, desto besser können Sie Ihr Recht auf eine faire Entschädigung wahren.
Ja. Selbst wenn Sie eine Mitschuld tragen, können Sie unter Umständen dennoch eine Zahlung erhalten. Allerdings kann der Gesamtbetrag entsprechend Ihrem Anteil an der Schuld angepasst werden.
Nach deutschem Recht haben Sie in den meisten Fällen bis zu drei Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem sich der Unfall ereignet hat – und in dem Sie sowohl den Schaden als auch die verantwortliche Person erkannt haben –, um Ihren Anspruch einzureichen. Für Personen ab 45 Jahren ist eine schnelle rechtliche Beratung besonders wichtig, um Fristen nicht zu versäumen und den bestmöglichen Fall aufzubauen.